demnächst
Vernissage der Steffen-Ausstellung mit «Kleine Mythen»
In der Christengemeinschaft Zürich wird es vom 20. März bis 22. Mai 2022 eine Ausstellung von Bildern Albert Steffens geben, welche die Oster- und Frühlingszeit zum Thema haben. Die Vernissage wird eröffnet mit dem Beitrag eines Mitglieds der Steffenstiftung, und anschliessend erklingen einige der poetischen und schicksalshaften Geschichten aus Steffens Dichtung «Kleine Mythen» (Sprache: Andrea Klapproth, Violine: Simone Matile). Die Finissage gestaltet, ebenfalls in Anwesenheit von Vertretern der Steffenstiftung, die Malerin Rahel Wepfer am 22. Mai um 11.10 Uhr mit einer Bildbetrachtung. Besichtigungszeiten: jeweils Sa. 9-14.30, So. 9-12 und nach Absprache mit dem Gemeindebüro: 044 251 15 85.
Sprache: Andrea Klapproth
Violine: Simone Matile
Die Christengemeinschaft Zürich
Untere Zäune 19
Zur Zeit keine
Hinweise und Studien Heft 30 (2017)
Briefe. Albert Steffen im Spannungsfeld von Dichtung, Öffentlichkeit, Zeitgeschichte und Anthroposophie.
Eine Auswahl aus der umfassenden Korrespondenz Steffens, die ihn im Verkehr mit bekannten Persönlichkeiten des Kulturlebens zeigt: Es sind u.a. Briefe von Rainer Maria Rilke, Hermann Hesse, Albert Schweitzer, Else Lasker-Schüler, Marianne v. Werefkin abgedruckt.
Autor: Ruedi Bind
CHF 25.– / EUR 23.00
Ein Biographie-Projekt
Die Albert Steffen-Stiftung plant die Herausgabe einer dreibändigen Biographie über das Leben Albert Steffens.
Kurzbeschreibung des Projekts:
1. Band: 1884-1920 (Mitte Januar 2020 erschienen)
2. Band: 1920-1935
3. Band: 1935-1963
– Verfasser: Dr. Klaus Hartmann, Moers (DE)
Interview mit Dr. Klaus Hartmann in „Anthroposophie weltweit Nr. 10/20“
Weshalb hat sich die Albert Steffen-Stiftung nicht zu den Rehabilitierungsbestrebungen für Ita Wegman und Elisabeth Vreede geäussert, weder im Vorfeld der Abstimmung noch während der Generalversammlung?
(Beitrag der Albert Steffen-Stiftung in Anthroposophie weltweit Nr. 7-8/2018)
Diese Frage wurde mehrfach an uns herangetragen, in Form von Bitten und auch als Kritik. Denn in der Broschüre der Rehabilitierungs-Initiatoren war die Persönlichkeit Albert Steffens als damaligem Erstem Vorsitzenden (neben der von Günther Wachsmuth) Zielpunkt der Kritik in bezug auf die Ausschlüsse von 1935. Es hiess dort:
„An dieser Stelle sei angemerkt, dass in keinster Weise eine absolute Verurteilung der Persönlichkeiten Albert Steffens und Günther Wachsmuths intendiert ist oder erfolgen darf. Auch ihr Einsatz für die Anthroposophie ist hoch zu schätzen. (…) Einen Fortschritt in der Bewusstseinsseelenhaltung könnte es bedeuten, wenn wir in den Taten eines Menschen das Wirken der Gegenmächte erkennen können, ohne dadurch die Liebe zu ihm als Mensch zu verlieren oder sein wahres Streben zu erkennen.“
(An dieser Stelle ist verwiesen auf eine Anmerkung, die ein Zitat Rudolf Steiners enthält über unbewusst bleibende, maskierte Handlungsmotive. Weitere Zitierungen Rudolf Steiners, die auf Steffen und Wachsmuth angewendet werden, legen nahe, dass diese unter dem Einfluss dämonischer Gegenmächte gehandelt hätten).
Justus Wittich betonte in seinem Artikel in Anthroposophie weltweit, dass es mittlerweile erwiesen sei, dass Ita Wegman und Elisabeth Vreede „ohne Makel“ gewesen seien und schloss sich implizit der Ansicht an, dass die Ausschlüsse aufgrund einer objektiven Fehlleitung der Verantwortungsträger der Gesellschaft geschehen seien.
Der Grund für die Zurückhaltung der Albert Steffen-Stiftung besteht aus mehreren Gründen:
Erstens und vor allem kam die Rehabilitierung für uns zu früh. Zwar arbeiten wir gerade jetzt an der Erstellung einer dreibändigen Biographie Albert Steffens, für die die vorhandenen Tagebuchaufzeichnungen aus fast 60 Jahren intensiv ausgewertet und streckenweise ausgiebig im Wortlaut zur Verfügung gestellt werden sollen. Die Bemühungen laufen dahin, den ersten Band, der Kindheit, Jugend, Festigung der Persönlichkeit bis zum Umzug nach Dornach im Jahre 1920 umfassen wird, noch in diesem Jahr zu veröffentlichen. Der zweite Band wird dann den Jahren 1925-1935 gewidmet sein und Albert Steffens Blick auf die Konflikte, die zum Ausschluss Ita Wegmans, Elisabeth Vreedes und deren Anhängern geführt haben, ausführlich behandeln.
Allein, wir sind so weit noch nicht. Nach dem altersbedingten Ausscheiden des langjährigen Stiftungspräsidenten Dr. Heinz Matile gibt es derzeit keinen Menschen in der Stiftung, der sich in die Vorgänge um 1935 eingearbeitet hat. Das Thema ist so gross und vielschichtig, dass es viel Zeit braucht, um sich darin auszukennen, und da wir keine Oberflächlichkeiten oder gar Parteimeinungen von uns geben wollen, da jedes Steffen-Zitat, das ihn von Vorwürfen frei sprechen würde, sicher mit einem Gegen-Zitat, das das Gegenteil aufzeigen würde, beantwortet würde, haben wir uns entschlossen, uns in der anthroposophisch-öffentlichen Diskussion der Sache nicht zu äussern. Wir empfinden dies selbst als Makel, stehen aber lieber zur Lücke, als hinterher vielleicht hinter selbstproduzierten Stellungnahmen stehen zu müssen, die sich als weder fundiert noch haltbar erweisen könnten.
Dazu kommt, dass uns – wir bitten um Verzeihung – die Art und Weise der Rehabilitierungsbemühungen unseriös erscheint. Rehabilitierung ohne Aufarbeitung mit dem Hinweis, das zu den Bemühungen berechtigende Material sei (fast ausschliesslich) in Büchern zu finden, die enge Mitarbeiter Ita Wegmans verfasst haben, ist schon eher eine unangenehme Sache und wendet sich an das Gefühl, nicht an die Urteilsfähigkeit. Die diesjährige Abstimmung war auf der Grundlage aufgebaut, „es sei Unrecht geschehen“. Dabei wurde dies Unrecht der damaligen „Gewinnerseite“ zugeschoben, und die damals Ausgeschlossenen wurden als unschuldige Opfer dargestellt. Über die Gründe für die Ausschlüsse wurde nicht gesprochen und somit den fast 1700 Mitgliedern, die für die Ausschlüsse gestimmt hatten (die Gegen- und Enthaltungsstimmen beliefen sich zusammen auf 129), Fehlurteil oder Irregeleitetsein unterstellt.
Schliesslich stellen wir die Bedeutung des Vorgangs insgesamt in Frage, indem wir nicht abschätzen können, was so eine Beschluss-Rücknahme nach über 80 Jahren für die betroffenen Individualitäten bewirkt und auch nicht den Eindruck hatten, dass die Antragsteller über ein erweitertes Bewusstsein für diesen Punkt verfügten.
Es war sicher ein Versäumnis von unserer Seite, das, was hier nach über zwei Monaten recht unaktuell daherkommt und vor allem von unserer Inkompetenz in der bewussten Angelegenheit spricht, nicht bereits vorher veröffentlicht zu haben.
Das grosse Anliegen, dem gewiss auch die Rehabilitatoren zustimmen, ist, nicht wieder neue alte Grabenkämpfe zu eröffnen.
Zeitweise befürchteten wir, das Ergebnis der Rehabilitierungs-Bemühungen könnte sein, dass als nächstes Albert Steffen und Günther Wachsmuth rehabilitiert werden müssten.
Im Stiftungsalltag begegnen uns die alten Differenzen und Beschuldigungen kaum noch; manchmal ist man sogar versucht zu denken, dass das alles vorbei sei, dass die Geschichte sich selbst erledigt habe. Die Bestrebungen um die Rehabilitierung Ita Wegman und Elisabeth Vreedes haben nun nicht nur der Sache nach, sondern auch im Duktus, in dem sie geführt wurden, gezeigt, dass nicht aufgearbeitete Konflikte unter der Oberfläche des täglichen Geschehens weiterwesen und der Erlösung harren.
Die endgültige Befriedung des Gewesenen liegt sicher bei den betroffenen Individualitäten selbst. Wir anderen, die wir Schmerz und vielfach Unverständnis für die Entzweiungen empfinden, können uns nur mit persönlicher Zurückhaltung und versuchter Unparteilichkeit bemühen, Licht in die damaligen komplizierten Geschehnisse zu bringen.
Wir hoffen, mit unserem Biographie-Projekt dazu beitragen zu können. Im Mittelpunkt der Blickrichtung steht nicht Steffens Rolle als Erster Vorsitzender, sondern die Gesamtdarstellung seines Lebensgangs. Diese soll zu einem Verständnis seiner Persönlichkeit führen, aus dem sich sein ganz eigenes Ergreifen und Ausfüllen des Vorsitzes erklärt.
– Bleibt der Bericht, dass die Bitten um finanzielle Unterstützung des Biographie-Projekts bisher unerfüllt blieben. Ausser aus dem kleinen Freundeskreis der Albert Steffen-Stiftung kamen keine Zuwendungen, auch die grossen anthroposophischen Stiftungen, die bisher angefragt wurden, schickten Absagen (einige Rückmeldungen stehen noch aus und werden als Pflänzchen der Hoffnung gehegt). Da das Vorhaben für die Albert Steffen-Stiftung ein existentielles Wagnis ist, sei hier unsere Bitte möglichen Unterstützern warm ans Herz gesprochen.
Christine Engels für die Albert Steffen-Stiftung
Informationen bei der Stiftung (Unterer Zielweg 36, Dornach; www.steffen-stiftung.ch)
Rezension: «Aus dem Fragment ‹Stiftungsdrama›»
Das Drama der Neuen Mysterien.
Zur Neuerscheinung «Aus dem Fragment ‹Stiftungsdrama›» von Albert Steffen.
Zu den welthistorischen Tragödien des 20. Jahrhunderts gehört auch die Tragödie der Anthroposophischen Gesellschaft. Denn wie sich in den äußeren Ereignissen die ungeschminkte Gewalt der Widersachermächte offenbarte, so auch in den Ereignissen, die mit den Entwicklungen der Anthroposophie und ihrer Gesellschaft zu tun hatten. Dass hier äußerlich durch den Goetheanumbau und innerlich durch die Michaelschule ein geistiger Grundstein gelegt wurde, der weit in die Zukunft hinauswies, musste ein erhöhtes Engagement der oben genannten Mächte zur Folge haben. Das war bekannt. Der Kampf, der sich dadurch in jeder der damaligen mehr oder minder mitverantwortlichen Persönlichkeiten austrug, war nunmehr hochdramatisch und zutiefst menschlich. Ersteres, weil es um ein Menschheitsgeschehen, letzteres, weil es um persönliche Verantwortung ging. Dass ein solches Geschehen einem Dramatiker wie Albert Steffen, dem es in seinem Werk gerade um diese Dimensionen der Menschheitszukunft und den damit verbundenen Entscheidungen des Menschen geht, in höchstem Maße ansprechen musste, ist nur zu verständlich. Verständlich ist aber auch, dass aus den tragischen Ereignissen um Rudolf Steiner und die Anthroposophische Gesellschaft ein solches Drama nicht vollendet werden konnte, weil es der Geist der damaligen Zeit in den Vierzigerjahren nicht zuließ. Denn Steffen wollte keine Abrechnung mit ihm unliebsamen Strömungen und Persönlichkeiten liefern, sondern aus dem Geist des Grundsteins des 1. Goetheanums ein Drama schreiben, das versöhnt, den Beteiligten von höherer Warte aus Zukunft eröffnet, weil es ganz aus dem Geist des Herzens geboren ist. Neben Rudolf Steiner wollte er vor allem Marie Steiner ein würdiges Denkmal setzen. «Ich musste die Bedeutung dieser Frau durch eine schöpferische Leistung hervorheben. Es wird das einzige bleiben, was bleibt.» (Tagebucheintrag 13.3.1942; S. 15). Mehr noch, Überlegungen zu einer Trilogie tauchen auf, es sollte ein Mysterienspiel werden, das die neuen Mysterien in Bild, Laut und Wort vor den Lebenden, den Toten und den Künftigen anschaulich machen sollte. Es ist jetzt noch nicht die Zeit, in der man über die Bedeutung einer solchen Individualität wie Albert Steffen sprechen kann, die mit ihrer manichäischen Mission im Brennpunkt der welthistorischen Kämpfe um die Zukunft des Menschen stand. So eben auch im Brennpunkt der tragischen Geschicke nach Rudolf Steiners Tod. Er ist in Kämpfe und Angriffe involviert, die aber so aufgearbeitet werden, dass nicht verurteilt, sondern versucht wird in diesen schwärzesten Jahren des 20. Jahrhunderts die heilenden und helfenden Mächte in sich aufzurufen. So sollte eben auch dieses Drama ein Drama aus dem Geist der neuen Mysterien sein, der versöhnend und heilend die Mysterientat Rudolf Steiners zukunftswirksam werden lässt. Die Ereignisse sind dann aber so, dass Steffen spätestens mit dem Nachlassstreit keine Möglichkeiten mehr sah oder besaß, dieses Drama zu vollenden. So bleibt ein Fragment von vier Szenen übrig. Wir verdanken nun der Albert Steffen-Stiftung, dass diese vier Szenen in einem schmalen Büchlein zusammengefasst und veröffentlicht wurden. Die letzte Szene «Das Merkurkapitäl» ist schon in «Begegnungen mit Rudolf Steinen» abgedruckt worden, die drei anderen «Vorspiel», «Tag der Grundsteinlegung des GoetheanumBaues», «Erstes Bild» waren bisher nicht veröffentlicht. Im Vorwort von Christine Engels werden die von Steffen überlieferten Quellen erhellend erläutert. Diese Quellen, die vor allem aus Tagebuchnotizen bestehen, sind allerdings sehr aufschlussreich. Am 30. März 1940 erfolgt der erste Eintrag, aus dem der Gedanke an ein solches Drama aufkeimt. Der Eintrag am 24. März 1942 ist der letzte und traurigste.: «Ich werde als produktiver Mensch ganz und gar vernichtet. Die Säulenszene aus dem Stiftungsdrama [ … ] muss nun [ … ] verschoben werden. Mich erfasste wieder eine so tiefe Trauer. Mein Herz hält es kaum mehr aus. Und es besteht keine Hoffnung, dass es besser wird.» (S. 17) In diesen zwei Jahren erfolgt eine intensive Beschäftigung mit dieser Thematik – wobei nun der Grundsteinspruch täglicher Meditationsgegenstand wird –, die dann aber in tiefer Resignation endet. Die Bereiche allerdings, die in den entstandenen Szenen berührt werden, lassen ahnen, was Steffen an gewaltigen Dimensionen vor der Seele stand. Die neuen Mysterien sind nämlich nicht mehr darzustellen ohne der neuen Trinität (Luzifer – Christus – Ahriman) gerecht zu werden. So scheint mir das Wort Rudolf Steiners aus dem «Merkurkapitäl» – «Die Sphärenharmonie schließt alle Dissonanzen des Abgrunds ein, seit in der Unterwelt der Weckruf des Erlösers laut geworden» (S. 68) – der Leitfaden für das ganze Vorhaben zu sein. Alle vier Szenen zeigen diese Abgründe an verschiedenen Stufen auf, ob an Gegnern, an Anthroposophen oder an der Zukunftsvision Rudolf Steiners vor der Grundsteinlegung, bei der ihm die Vernichtung des Baus schon vor Augen stand. Innerhalb dieser Abgründe offenbaren sich aber u. a. im Verhalten, im Erkennen und in der Treue zu einmal gefassten Entschlüssen die neuen Mysterien. Diese kulminieren schließlich in der Szene «Der Tag der Grundsteinlegung». Dort wird gezeigt, wie Rudolf Steiner Angriffen Ahrimans und Luzifers entgegensteht und sie in ihre Schranken weist. Danach eröffnet sich ihm in geistiger Schau die Sphärenharmonie. In einem erhabenen kosmischen Geschehen erscheinen die drei Hierarchien und in ihrer Mitte Christus – das ICH BIN –, das nun hymnisch als Mittelpunkt der gesamten Welt- und Menschenschöpfung erklingt und gepriesen wird. Eine äußerst berührende Szene. Wo schon ist ein solcher ICH-BIN-Hymnus aufgetreten? Welch Metamorphose auch zu dem ersten Gedicht aus «Wegzehrung»: «Eins ist gewählt und eins gewusst, ich bin.» Es gehört zu Steffens großer Kunst, solche Dimensionen in eine poetische Sprache zu kleiden, die schlicht und geistreal ist und so sich sentimentaler wie abstrakter Abirrungen verwahrt. Die Tiefen- und Zukunftsdimension dieser Szene begründet sich auch in ihrer manichäischen Anlage. Denn Rudolf Steiner entgegnet der Todesmacht Ahrimans «Bis du dem Todesüberwinder weichst» und der begierdeweckenden Lichtgewalt Luzifers «Bis du den Todesüberwinder liebst» (S. 40 und 42). Damit wird die Bedeutung der neuen Trinität in ihrer höchsten Form angesprochen.
Die Grundsteinlegung selbst, die in der folgenden Szene im Ersten Bild dargestellt wird, greift Ansprachen Rudolf Steiners auf, worin unter anderem Christian Morgensterns gedacht wird, dem Steffen selbst persönlich nie begegnet ist. Der Kommentierung dazu von Christine Engels muss nichts hinzugefügt werden: «[ … ] umso berührender scheint es, dass der spätere Dichter der Gesellschaft den früheren hier als Schutzgeist auftreten lässt.» (S. 74) Vergleicht man die Darstellungen Rudolf Steiners mit denen von Steffen, so ist es immer wieder überraschend, wie individualisiert die Inhalte wiedergegeben werden.
Heinrich Schirmer in «Das Goetheanum»
Klaus Hartmann
Albert Steffen
Die jungen Jahre des Dichters
Biographie Band I, 464 Seiten
1. Auflage 2019, Verlag für Schöne Wissenschaften, Dornach/Schweiz
Es ist vollbracht. Nun erst, fast 60 Jahre nach seinem Tod, ist endlich der erste Teilband eines auf insgesamt drei Bücher projektierten Unternehmens zur Biographie Albert Steffens (1884 -1963) erschienen. Es geht also erstmalig um den „ganzen“ Steffen als Dichter, Anthroposoph und Mensch. Bisher liegen nur Untersuchungen zu Teilaspekten seines Schaffens vor, etwa das schöne Buch „Albert Steffen. Begegnungen mit Rudolf Steiner“ von Peter Selg (2009) oder die älteren Studien von Friedrich Hiebel (1960), Rudolf Meyer (1963) oder Ingeborg Woitsch (1996). Das neue Buch von Klaus Hartmann ist aus mehrfachem Grund ein mutiges und, wie nach der Lektüre deutlich wird, auch ein gelungenes Wagnis. Abgesehen von der im Vorwort angesprochenen immensen finanziellen und technischen Herausforderung, dieses zukünftig sich weit über tausend Seiten entfaltende Werk zu publizieren, wird mit Steffen eine der allgemeinen Öffentlichkeit weitgehend immer noch unbekannte Persönlichkeit vorgestellt. Das Interesse für dessen Person und die Relevanz seines künstlerischen, menschlichen und anthroposophischen Wirkens für unsere und seine damalige Zeit müssen also zunächst (wieder) geweckt werden, wenn an einen größeren Leserkreis gedacht ist, der über den engen Rahmen weniger Liebhaber, Kenner und Kritiker hinausgehen soll. Zudem ist es eine Publikation aus dem Dornacher Verlag für Schöne Wissenschaften, der sich vornehmlich und ausdrücklich der Pflege des künstlerischen Werks und Werkverständnisses Albert Steffens verpflichtet weiß. Können da sowohl der unbefangene wie der mit der Geschichte der anthroposophischen Gesellschaft vertraute Leser eine Schrift erwarten, die über eine zeitlos verehrende Apologie und eine nachgereichte Rechtfertigung hinausweist? Über alle anderen im sogenannten Ur-Vorstand der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft von Rudolf Steiner 1925 berufenen Mitarbeiter liegen, teilweise mehrfach, seit Jahren umfangreiche Biographien vor. Die Kenntnis dieser Werke und ihres jeweils ausgeführten spezifischen Erkenntnisinteresses dürften die Lektüre des vorliegenden Dokuments zu Albert Steffen mitbestimmen. Und das ist gut so. Denn durch das Zusammenschauen der verschiedenen Veröffentlichungen kann erst ein sachgemäßes Bild der in Rede stehenden Zusammenhänge erwachsen.
Der erste Band schildert Kindheit, Jugend und Studienzeit Steffens bis zu seinem fünfunddreißigsten Jahr (Die jungen Jahre des Dichters). Der zweite Teil wird die Zusammenarbeit mit Rudolf Steiner bis zu dessen Tod 1925 thematisieren und insgesamt bis 1935 reichen. Im dritten Abschnitt schließlich steht ganz Albert Steffens Aktivität als Erster Vorsitzender der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft im Mittelpunkt. Was fällt auf?
Wer die, souverän durch einen jeweils dominant sich gebenden Biographen, gestalteten Werke zum Maßstab einer gelungenen „Biographie“ nimmt, etwa Rainer Stachs „Kafka“, Thomas Karlaufs „Stefan George“ oder Richard Ellmanns „James Joyce“, dürfte nach dem ersten Eindruck von der sich bewusst zurückhaltenden Geste Klaus Hartmanns erstaunt sein. Vordergründig wirken seine präzisen Hinführungen, kurzen Überleitungen und verbindenden sachlichen Klärungen so, als gehe es ihm im Hinblick auf Albert Steffen eher um ein „Lebensbild in Selbstzeugnissen“, hinter das der Biograph still zurücktritt. Schon der deutsche Schriftsteller Walter Kempowski musste sich fragen lassen, ob er bei seinem vielbändigen Jahrhundertprojekt „Das Echolot“ (ab 1993) nicht als bloßer Arrangeur und Herausgeber agiere, wenn er Texte aus Briefen, Tagebüchern und amtlichen Formularen sowie Fotografien „bloß“ in Beziehung zueinander bringe, um ein „kollektives Tagebuch“ zu verfertigen. Aber das Vorgehen hat Methode. Sie offenbart sich im Prozess der Lektüre. Eine vorab zu unterstellende und vom Leser nicht zu überprüfende Parteinahme ist jedenfalls nicht vorhanden, ja, sie wird geradezu gemieden. Steffen soll selbst zu Wort kommen. Hartmann gibt sich nicht „klüger“ als sein „Untersuchungsgegenstand“. Er sichtet das schier unüberschaubare Dokumentenmaterial, prüft kenntnisreich und wählt an Texten und Fotografien klug aus, was exemplarisch gültig und sprechend ist. Er wagt es an den entscheidenden Stellen durchaus, dem Dichter ins Wort zu fallen, um gegebenenfalls dessen subjektive Irrtümer zu kennzeichnen. Ansonsten wird ungefiltert aus den bisher nicht publizierten Tagebüchern offengelegt, was man nicht kannte und wie und woran Steffen arbeitete oder litt. Vor allem dessen frühes Leid, auftauchende Selbstmordgedanken, seine durchaus vorhandene Neigung zum Hass, seine Antipathien gegenüber bestimmten Nahrungsgewohnheiten und „alten Damen“ und das ihn auch später immer begleitende Empfinden einer Traurigkeit, Einsamkeit und unerbittlichen Selbstbefragung zeigt dem Leser eine bisher unbekannte Seite des vermeintlich so „arglosen“ und um innere Reinheit bemühten Dichters. Durch die ausführlichen Zitate und privatesten Originalstellen gewinnt Steffen für den heutigen Leser eine nie gekannte Menschlichkeit hinzu, die sein Ringen um eine neue, spirituelle Dichtkunst in weit höherem Maße nobilitiert als es eine bloße und wortreiche Lobeshymne vermöchte. Sehr eindrücklich zusammengestellt sind darüber hinaus die „schönen“ und gesundenden Erlebnisse dieser frühen Jahre: Die Natur und Heimat der Schweiz, das Schwimmen in der Aare, die Liebe zu den Blumen, den Verstorbenen und dem schon in der Jugend auftauchenden Bewusstsein, mit dem dichterischen Wort zu heilen, was das Skalpell des Mediziners, etwa seines Vaters, nicht dauerhaft vermag. Wir lernen durch Steffens Blick noch einmal bekannte Zeitgenossen kennen (Hermann Hesse, Robert Walser, Paul Klee, Rainer Maria Rilke), erfahren, welche Literatur ihm wichtig gewesen ist (Kant, Nietzsche, Dostojewski), hören etwas über die akademischen Lehrer und die geistige Atmosphäre seiner Wohnorte und, für viele dürfte das in der dargebotenen Intensität neu sein, über die umfassende „Bandbreite“ seiner erotischen, seelischen und geistigen Liebeserfahrungen und Liebesversuche. Die tiefe Lebensbegegnung mit der baltischen Ausdruckstänzerin Elsa v. Carlberg etwa wird ausführlich dargestellt und mit intimen Tagebuchnotizen belegt. Die Bedeutung Elsa v. Carlbergs ist für Steffens weitere Biographie und sein gesamtes Oeuvre kaum hoch genug einzuschätzen. Eine Entdeckung! Sehr sorgfältig geht Hartmann auch auf das andere existentielle Motiv ein, das uns Steffen schon vor seiner Begegnung mit Rudolf Steiner und der Anthroposophie als äußerst spirituell begabten und empfindsamen Menschen schildert. Seine künstlerische Veranlagung fand durch die Anthroposophie die Möglichkeit, sich bewusst und methodisch durch eine geisteswissenschaftlich orientierte Meditation und Erkenntnisbemühung zu erweitern. Der Dichter entdeckt durch sie die Berechtigung seines ganz spezifischen, individuellen und künstlerischen Weges zur Einweihung. Er war und wird zu keiner Zeit Sklave einer Theorie oder Weltanschauung. Nach dem Besuch eines Steiner-Vortrags notiert Steffen, wie nötig ihm die „Erkenntnisse höherer Welten“ seien, wie er es aber vorerst noch als eine Art von „Schmach“ empfinde, nur mit den durch Rudolf Steiner vermittelten Kräften leben zu müssen. „Selbst kann ich mir diese Kräfte nicht holen. Dr. Steiner muss sie mir vermitteln. O wann kommt der Zeitpunkt, da ich selber sie holen kann? Nein länger kann ich diese Schmach nicht tragen.“ (S. 191) Quod erat demonstrandum. Es ist durchaus löblich, dass Hartmann sich im Hinblick auf Erkenntnisse karmischer Zusammenhänge für das Leben Steffens nicht in ausufernde Spekulationen verliert. Aber sein lakonischer Hinweis, dass „innerhalb der anthroposophischen Leserschaft“ der Dichter in einer früheren Inkarnation mit Giotto in Verbindung gebracht werde, erfährt, außer der Rückversicherung auf eine private Briefaussage Rudolf Steiners, keine weitere Begründung. Ausführlicher wird dagegen der Blick auf einen Zusammenhang mit den von Rudolf Steiner in mehreren Vorträgen erwähnten zwei Mitgliedern einer Essäer-Gemeinde gerichtet (S. 250 ff.). Hartmann belässt diesen insgesamt zu kurzen Hinweis immerhin im Konjunktiv („Könnte man …nicht…?“). Auch das ist gut so. Der Frage ist nachzusinnen. Warum sollte sie uns vom Biographen „eindeutig“ abgenommen und beantwortet werden? In dieser Beziehung gilt die Monatstugend: Diskretion wird zu Meditationskraft!
Klaus Hartmann referiert im Weiteren nachvollziehbar und treffend das Zustandekommen und die Inhalte der frühen Romane und Dramen. Und er zeigt sich selbst als Biograph „dramaturgisch“, indem er mit einer sehr dichten und historisch vibrierenden Dokumentationsfülle der Kriegsereignisse und ihrer Revolutionsfolgen für die damalige Kultur, Politik und Gesellschaft und für die Neuorientierung Steffens den ersten Band in einer Art biographischen Crescendos enden lässt.
Gleichen die ersten Kapitel einem epischen Prélude, die Jahre in Berlin und München der lyrischen Stimmung con amore, so dominiert eine unüberhörbare Dramatik die letzten Seiten des Buches, bevor der Vorhang fällt.
Es wird spannend, wie in den folgenden zwei Bänden Steffens authentische Sicht ein pointiertes Licht auf die dort darzustellenden Ereignisse werfen dürfte. Aber es ist höchste Zeit, Albert Steffens Leben als Dichter, wie es uns durch die vorliegende Biographie neu bekannt werden kann, als Zentrum seines anthroposophischen und sozialen Wirkens zu begreifen. Aus der künstlerischen Quelle schöpfte er immer wieder seine Kräfte. Das galt für die Zeit des Ersten Weltkrieges, das galt auch für die spätere Zeit als Vorsitzender der Gesellschaft: „Der Krieg sagt doch, dass alles in der Kunst auf Leben und Tod gehen muss. Sonst ist es Weltflucht. Und weil der Krieg eine Prüfung ist, so soll es auch jedes Buch sein. Wir müssen eben in der Stimmung: Es geht auf Leben und Tod! sein, wenn wir die Erde richtig erleben wollen.“ (S. 287)
Dem Biographen und den Herausgebern des Verlags ist zu wünschen, dass sie ihren Mut der weiteren Dokumentationsarbeit beibehalten. Nur durch eine sachliche Offenlegung der vorhandenen Quellen ist jedem zukünftigen Leser eine eigene Urteilsbildung ermöglicht. Ein sehr informativer, in höherem Sinn unterhaltsamer und notwendiger Anfang ist gemacht.
Heinrich Schirmer
Unlandweg 16
32469 Petershagen
Deutschland
(Erschien in leicht gekürzter Fassung in der Wochenschrift „Das Goetheanum“ am 27.2.2020)
Andreas Jost, Ulm
Buch Besprechung von Neuerscheinung:
Albert Steffen. Die jungen Jahre des Dichters. Biographie, Band I
Verlag Schöne Wissenschaften, Dornach
Der Dichter Albert Steffen (1884-1963) gehörte in seinen jungen Jahren zu den größten literarischen Hoffnungen der deutschsprachigen Schweiz. Mit seinen frühen Romanen „Ott, Alois und Werelsche“, „Die Bestimmung der Rohheit“, „Die Erneuerung des Bundes“ und „Sibylla Mariana“, verlegt beim renommierten S. Fischer Verlag, machte sich eine außerordentlich poetische Stimme bemerkbar, die auch großen Zeitgenossen wie Hermann Hesse und Thomas Mann nicht verborgen blieb.
Nun ist im Dornacher Verlag für Schöne Wissenschaften der erste Band seiner Biographie erschienen – spät zwar, aber dafür umso fundierter und umfassender konzipiert.
Zusammen mit der Albert Steffen- Stiftung hat Klaus Hartmann „Die jungen Jahre des Dichters“ (1884-1919) in einem 460 Seiten starken Prachtband, versehen mit vielen bisher unveröffentlichten Bildern und Fotografien, herausgebracht.
„Der Grund, weswegen es an die 60 Jahre dauerte, bis nun wenigstens der erste Band der auf drei Bände angelegten Biographie vorliegt, ist vor allem in der schier unerschöpflichen Materialfülle zu suchen“, ist im Vorwort zu lesen. So hat sich der Biograph nicht nur durch rund 70 Buchtitel aller Literaturgattungen zu ackern (neben den Romanen vor allem Dramen, Gedichte und Essays), sondern auch durch ca. 23.000 Seiten Tagebuch, die zuvor schon aus Steffens „schwer zu entziffernder Handschrift“ in eine Schreibmaschinenabschrift gebracht worden waren.
Die mühselige und zeitaufwendige Recherchenarbeit hat sich allerdings gelohnt. Die Ausführungen zur Familiengeschichte, zum persönlichen Umfeld bis hin zur plastischen Landschaftsschilderung von Steffens Geburtsort Murgenthal und dem Fluss Aare, in dem der spätere Dichter so gerne badete und ausgezeichnete Schwimmkünste erwarb, versetzen den Leser unmittelbar in die Lebenswelt des Porträtierten. Dabei fallen insbesondere die zahlreich zitierten Selbstzeugnisse und Tagebuchauszüge Steffens ins Gewicht, dessen Naturbeschreibungen einen magischen Sog entfalten und zum unvergleichlichen Steffen-Klang gehören, den seine Leser an ihm schätzen.
So entsteht ein vielschichtiges, äußerst lebendiges Bild des jungen Dichters, das uns eine Persönlichkeit entgegentreten lässt, wie wir sie aus dem bisher Gekannten kaum vermutet hätten. Wer kann sich beispielsweise den späteren Vorstand der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft als 14-jährigen Rabauken, der gerne mal eine raucht, einen Schoppen trinkt und sich tagein, tagaus mit den Dorfburschen herumtreibt, vorstellen?
Ob es die unbeschwerten Naturerlebnisse oder manchmal auch sehr schmerzhaften Erfahrungen im dörflichen Umfeld sind (mit 7 Jahren wird er von einem Hundebiss schwer verletzt), ob es Auseinandersetzungen mit mehr oder weniger geistreichen Lehrern in Grundschule, Gymnasium und späterer Universität sind, oder ob es dann um die Hoffnungen, Wünsche und Selbstzweifel des angehenden Schriftstellers geht – in dieser Biographie tritt uns das Wesensbild einer hochsensiblen, hellsichtigen Persönlichkeit entgegen, das umfassend dargestellt, wertschätzend kommentiert und sich somit, bereichert durch die vielen Selbstzeugnisse, unverstellt offenbaren kann.
Nicht nur für anthroposophisch grundierte Leser und Leserinnen dürften Steffens erste Begegnungen mit Rudolf Steiner und seinem damals noch theosophischen Umfeld von Interesse sein. Spannend – und zuweilen durch seine heftig ablehnenden Reflexe auch irritierend – sind die Tagebuchnotizen infolge seiner Begegnungen mit Kandinsky, Klee und Gabriele Münter, in welchen Steffen durchaus auch einmal zu antimodernistischen und kulturkonservativen Urteilen neigen konnte. Literaturinteressierte Leser dürfen sich auf Beschreibungen bekannter Dichterpersönlichkeiten wie Hesse, Rilke, Morgenstern oder Robert Walser freuen, denen Steffen ebenso begegnete wie einigen anderen Größen aus dem damaligen Kulturleben, darunter auch dem Maler Ferdinand Hodler.
Wer etwa Volker Weidermanns Bestseller „Träumer – Als die Dichter die Macht übernahmen“ über die Münchner Räterepublik gelesen hat, kann von Steffen, der selbst an den Vorgängen beteiligt war und viele der Akteure persönlich kannte, noch einmal eine ganz andere Sichtweise auf die Ereignisse rund um diese „Dichter-Revolution“ erfahren. Während Steffen die erste Phase der Räterepublik, die verbunden war mit Persönlichkeiten wie Kurt Eisner, Ernst Toller, Gustav Landauer und Erich Mühsam, trotz des allgemein herrschenden Chaos in Münchens Strassen wohl auch als Hoffnungsschimmer auf eine bessere Zukunft erlebt hatte, sprach er von den kommunistischen Anführern Levien und Levine´, die nach Eisners Ermordung ans Ruder kamen, von „verbrecherischen Menschen“. Mit Blick auf die tieferen Hintergründe der Ereignisse, die er aus nächster Nähe erlebte, spürte er die Beteiligung und inspirierende Kraft von im Weltkrieg gefallenen Soldaten-Seelen –andererseits aber auch das Aufsteigen eines zerstörerischen Tieres, das aus dumpfen Untergründen zur Ermordung Eisners und zu Judenvernichtung anstachelte. Eine Vorahnung auf den Ungeist des Nationalsozialismus? Aus dieser Stimmung heraus verfasste er sein Drama „Das Viergetier“. Und notiert ins Tagebuch: „Ich aber habe in den nächsten Jahren den Deutschen ein neues Drama zu bringen und hernach eine neue Schule.“
Zu diesem Zeitpunkt, am 10. Dezember 1919, hatte Steffen sein 35. Lebensjahr erreicht und sprach selber vom Beginn der „Meisterjahre“. Damit endet der erste Band seiner Biographie – nach über 400 aufschlussreichen Seiten mit vielen überraschenden Aspekten zum Leben dieses außergewöhnlichen Menschen und bedeutenden Dichter, der heute völlig zu unrecht in Vergessenheit geraten ist, darf man gespannt auf die zwei angekündigten Folgebände warten.
Andreas Jost, Ulm in „Die Christengemeinschaft“
Vielfältige Verbindungen
Parallel dazu wandelte er in diesen Jahren seine spo- radischen Berührungspunkte mit der Anthroposophie in eine Mitgliedschaft um und nahm am Zweigleben in dem von Sophie Stinde und Gräfin Kalckreuth geleiteten Zweig teil. Er sah die Mysteriendramen in München und reiste, als in Dornach viele Menschen während des Ersten Weltkriegs am Goetheanum arbeiteten, dorthin. Jedoch arbeitete er nicht mit, sondern fuhr wieder nach München zurück, um seinen eigenen »Bau«, der im Schreiben und Dichten bestand, voranzubringen. Steffen war hierbei sehr konsequent. Eine persönliche Beziehung zu Rudolf Steiner stellte sich erst allmählich her. Steffens doch recht komplizierte Seelenverfassung, immer wieder auch gebrochen durch starke Selbstzweifel im Wechsel mit Selbstüberhöhungen, machten es ihm schwer, in Beziehungen einzutreten.
Doch in diesen Jahren wurden nun auch viele Freund- schaften geknüpft. Steffen fand verwandte Seelen unter den Anthroposophen, vor allem unter denen, die selbst Künstler waren oder mit der Kunst in Zusammenhang standen. Solche waren Stanislaus Stückgold und seine Frau Elisabeth, Ernst Uehli, Walo von May, Alexander von Bernus sowie Michael Bauer und Margareta Morgenstern. Aber er stand auch im Kontakt mit einer ganzen Anzahl von Künstlern, die vor und während des Krieges in München waren – so mit Franz Marc, Wassily Kandinsky und Paul Klee, mit Martin Buber, Annette Kolb, Gustav Meyrink und Rainer Maria Rilke. Auch Thomas Mann wurde auf Steffen aufmerksam, wie eine Tagebuchnotiz desselben belegt. Mit Hermann Hesse gab es eine freundschaftliche Beziehung, Steffen besuchte ihn mehrfach am Bodensee und später in der Schweiz. All dies ist sehr anregend zu erfahren, zumal verschiedene Persönlichkeiten auch in eigenen kurzen Kapiteln, oft versehen mit einem Foto, vorgestellt werden.
Diese Vielfalt an Bezügen erweiterte sich noch dadurch, dass Steffen rege Anteil nahm am Zeitgeschehen. So war er u.a. unmittelbarer Zeitzeuge der politischen Ereignisse nach dem Ersten Weltkrieg in München. Es herrschte Hungersnot, der Hass spaltete die Bevölkerung in ver- schiedene Lager, lange Züge von Soldaten kehrten aus dem Krieg zurück, politische Morde gehörten zum Alltag. Steffen erlebte die verschiedenen Phasen der Räte- republik, nahm an politischen Versammlungen teil und las täglich die öffentlichen Anschläge, was er dann alles in seinem Tagebuch verarbeitete.
Die Fülle an Zitaten aus Steffens Tagebüchern hätte es meines Erachtens auch an dieser Stelle, wo es um die politischen Ereignisse in München nach dem Krieg geht, für den Leser notwendig gemacht, diese Aufzeichnungen stärker zu kontextualisieren. Denn ein exaktes Wissen um die damaligen Zeitereignisse kann man heute nicht mehr voraussetzen. Auch hier wieder: Etwas weniger Zitate und mehr zusammenfassende Darstellungen bzw. die Schilderung von Hintergründen wäre besser gewesen.
Positiv gewendet kann man sagen, dass Klaus Hartmann mit diesem ersten Band der Biografie Albert Steffens dem Leser viel Material an die Hand gegeben hat, das diesen frei lässt, um sich selbst innere Bilder zu schaffen und Urteile zu bilden. Man kann mit Spannung die beiden fol- genden Bände dieser Biografie erwarten!
Corinna Gleide, *1964, leitet das von ihr mitbegründete D.N. Dunlop Institut und ist Redakteurin der Drei. –
* Klaus Hartmann, ›Albert Steffen. Die jungen Jahre des Dichters – Biographie Band 1‹, Verlag für schöne Wissenschaften, Dornach 2020, 464 Seiten, 42 EUR
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